Ein Genehmigungsverfahren für Schienenfahrzeuge braucht viel Zeit

06. Juli 2022: Bevor Schienenfahrzeuge im alltäglichen Verkehr eingesetzt werden können, müssen sie einen Genehmigungsprozess durchlaufen.

Hamburg: Bevor Schienenfahrzeuge im alltäglichen Verkehr eingesetzt werden können, müssen sie einen Genehmigungsprozess durchlaufen. Der technische Manager für Schienenfahrzeug-Projekte bei TÜV NORD Christoph Held erläutert, wie Hersteller den Prozess durch gute Vorbereitung und Steuerung beschleunigen können. Diese und weitere Themen stehen auch im Mittelpunkt der Fachmesse InnoTrans vom 20. bis 23. September in Berlin. 

Für die Genehmigung zum Inverkehrbringen neuer Schienenfahrzeuge müssen Hersteller durch Konformitätsbescheinigungen nachweisen, dass sie die Anforderungen des EU-Binnenmarktes erfüllen. Die Konformitätsbescheinigungen resultieren aus Bewertungsverfahren zu den europäischen und nationalen Anforderungen, die von Benannten Stellen (Notified Body/NoBo) und von Bestimmten Stellen (Designated Body/DeBo) durchgeführt werden. Zudem ist die Durchführung einer unabhängigen Sicherheitsbewertung durch eine Sicherheitsbewertungsstelle (Assessment Body/AsBo) erforderlich. Alle diese Stellen haben gemein, dass sie höchsten Anforderungen an die fachliche und organisatorische Kompetenz unterliegen. In Abhängigkeit vom Mitgliedsstaat müssen sie durch eine nationale Akkreditierungsstelle und/oder eine entsprechende Anerkennung durch eine nationale Anerkennungsstelle (in Deutschland das EBA) für diese Tätigkeit befugt werden. TÜV NORD verfügt über Anerkennungen dieser drei Bewertungsstellen.

Vor dem Typgenehmigungsverfahren müssen die Anforderungen an das Schienenfahrzeug vom Antragsteller erfasst und die anwendbaren Anforderungspunkte gemäß TSI/NNTR1 festgelegt werden. Es folgt die Nachweisführung, die belegen soll, dass die festgelegten Anforderungspunkte für das Fahrzeug erfüllt sind. Die Nachweise werden dann der eigentlichen Konformitätsbewertung unterzogen, der sich das Genehmigungsverfahren anschließt. „Ein solcher Genehmigungsprozess ist komplex und umfangreich“, erklärt Christoph Held. Er begleitet sowohl umgebaute als auch brandneue Schienenfahrzeuge auf ihrem Weg zur Typgenehmigung.

Für die Typgenehmigung neuer Schienenfahrzeuge für den Personenverkehr und deren Änderungen sind neben nationalen Anforderungen die technischen Anforderungen relevant, die durch die TSI Loc&Pas (Lokomotiven und Personenwagen), TSI NOI (Lärm), TSI PRM (Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung und Menschen mit eingeschränkter Mobilität) und die TSI SRT (Sicherheit in Eisenbahntunneln) für das Teilsystem „Fahrzeug“ vorgeschrieben sind. Der Katalog der zu betrachtenden Kriterien ist lang, wie hier für die TSI Loc&Pas exemplarisch dargestellt: 

  • Struktur und mechanische Teile
  • Fahrzeug-Fahrweg-Wechselwirkung und Fahrzeugbegrenzungslinie
  • Bremsen
  • Fahrgastspezifische Aspekte
  • Umweltbedingungen
  • Außenleuchten und akustische und visuelle Warnvorrichtungen
  • Antriebs- und elektrische Ausrüstung
  • Führerraum und Schnittstelle Triebfahrzeugführer-Maschine
  • Brandschutz und Evakuierung
  • Wartung
  • Dokumentation für Betrieb und Instandhaltung

„Hinter diesen einfachen Überschriften verbergen sich komplexe Fragestellungen, die alle die Sicherheit der Passagiere, des Zugpersonals, der Fahrzeuge und letztlich der Sicherheit des Gesamtsystems Bahn dienen“, erklärt Christoph Held. „Es geht um sehr viele Detailfragen mit teilweise sehr komplexen und langwierigen Prüfungen. Deshalb ist es ratsam, dass Hersteller und Zulieferer eine angemessene Zeit für den Genehmigungsprozess einplanen.“ So kann beispielsweise die gesamte Konformitätsbewertung für einen kompletten Triebzug zwei Jahre beanspruchen: Die Erstellung der Nachweisdokumentation durch den Antragsteller benötigt ebenso Zeit wie notwenige Versuche. 

Je besser der Genehmigungsprozess vorbereitet ist, je detaillierter und eindeutiger eingereichte Systembeschreibungen sind, desto schneller kann die Prüfung erfolgen. Je klarer der Auftrag formuliert wird, in welchen Ländern die Fahrzeuge verkehren sollen, desto besser können von Beginn an nationale Regeln im Verfahren berücksichtigt werden. Dafür müssen Hersteller sorgen: In ihrer Verantwortung liegt es, die Prozesse in Bezug auf die Genehmigung von Schienenfahrzeugen zu planen und zu steuern. „Sinnvoll ist es auch, rechtzeitig eine Konformitätsbewertungsstelle wie TÜV NORD einzubeziehen, damit sie den Genehmigungsprozess mit ihrem Know-how begleiten kann“, so Held. „Nachbesserungen können vermieden werden, das spart Zeit und Geld, vermeidet Unklarheiten und Missverständnisse.“ 

Er gibt zu, dass die Verfahren durch die Regeln im europäischen Binnenmarkt sicher nicht einfacher geworden seien. „Doch es geht um die Sicherheit von Fahrzeugen, die in mehreren Jahrzehnten viele Menschen über Millionen von Kilometern befördern oder Güter durch dicht bebaute Infrastrukturen transportieren.“

Hersteller und Zulieferer können sich während der Fachmesse InnoTrans vom 20. bis 23. September in Berlin über die Genehmigungsverfahren informieren. TÜV NORD ist zu finden im CityCube A am Stand 620. TÜV NORD Bildung stellt die Triebfahrzeugführeraus- und -weiterbildung in seinen mobilen Fahrsimulator im Freigelände Süd am Stand 0/375 vor. 
 

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1 TSI: Technische Spezifikationen für Interoperabilität; NNTR: Notifizierte Nationale Technische Regeln 
 

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